Cover
Titel
Karten, Kartographie und Geschichte. Von der Visualisierung der Macht zur Macht der Visualisierung


Herausgeber
Koller, Christophe; Jucker-Kupper, Patrick
Reihe
Geschichte und Informatik 16
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
146 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Markus Oehrli, Zurich

Der Verein «Geschichte und Informatik» hat sich zum Ziel gesetzt, den Einsatz der Informatik in den Geschichtswissenschaften zu fördern und die Forschenden weiter zu vernetzen. In diesem Sinne ist der Verein auch als Herausgeber einer Reihe tätig, in deren 16. Band die Kartographie im Zentrum steht. Dabei ist die Verbindung mit der Informatik, der Wissenschaft der systematischen Verarbeitung von Information, ganz praktischer Natur. Wir gehen kurz auf den Inhalt der sechs Beiträge ein, bevor wir zu einer Würdigung ansetzen.

Die Geschichtskartographie (d. h. die Abbildung historischer Zustände auf modernen Karten) ist Thema des Sozial- und Wirtschaftshistorikers Andreas Kunz (A travers le temps et l’espace: le système d’information historique «HGIS Germany », 14 S.). Im vorgestellten historisch-geographischen Informationssystem der deutschen Territorien zwischen 1820 und 1914 werden nicht nur politische Grenzen und deren Veränderungen aufbereitet, sondern auch Angaben zu den Dynastien und Regierungssystemen, statistische Daten sowie Photos. Ebenfalls zur Geschichtskartographie könnte man die Visualisierungen der Literaturgeographie zählen. Führend in diesem Forschungsgebiet sind derzeit Barbara Piatti und Lorenz Hurni, die ihre Methode anhand der Modellregion Vierwaldstättersee erläutern (Die Entstehung einer literarischen Landschaft sichtbar machen: interaktive Karten als Instrumente der Literaturgeschichte, 21 S.).

Im Dreieck von Geschichtskartographie, Kartographiegeschichte und historischer Geographie bewegt sich Martin Rickenbacher (Geschichte verorten: zum Einsatz Geographischer Informationssysteme (GIS) in der historischen Forschung anhand von Beispielen aus dem Ersten Koalitionskrieg 1792 –1797, 38 S.). Zur Sprache kommen Hans Conrad Eschers topographische Arbeiten um Basel, das dortige Hochwachtennetz und die Rekonstruktion des Hochwacht-Standortes auf dem Pratteler Horn. Im engeren Sinn kartographiehistorisch ist der Beitrag von Bernhard Jenny, Helen Jenny und Lorenz Hurni (Alte Karten als historische Quelle: wie lässt sich die geometrische Genauigkeit des Karteninhalts abschätzen? 18 S.). Sie stellen grundsätzliche Überlegungen zu kartenspezifischen Aspekten der Quellenkritik an, erläutern einige Visualisierungen von Genauigkeitsuntersuchungen und geben ein Beispiel anhand der Thurgau-Karten von Johannes Nötzli und Ferdinand Rudolf Hassler.

Eingeführt wird das Titelthema erstens durch einen kommunikationstheoretischen Text des Geographen Walter Leimgruber (Die Karte als Ausdruck von Vorstellungsbildern, 12 S.) und zweitens durch einen kartobibliothekarischen Beitrag von Thomas Klöti (Kartensammlungen als Landschaftsgedächtnis, 23 S.). Der letztgenannte gibt einen Rückblick auf die Geschichte der Kartographie, um sodann die Erschliessung von Karten und Luftbildern am Beispiel der Sammlung Ryhiner und des Bundesamtes für Landestopografie zu referieren. Der Mitherausgeber Christophe Koller steuert ein Vorwort bei (12 S.). Alle Beiträge verfügen über ausführliche deutsche, französische und englische Zusammenfassungen; das Vorwort ist in extenso auf Deutsch und Französisch abgedruckt.

Was will dieser Band also? Weder viel noch wenig, möchte man sagen. Wie obige Inhaltsangaben zeigen, sollen Wissenschaftler verschiedener Richtungen angesprochen werden. Besonders im Fokus stehen Historiker, die sich laut Vorwort wenig für Kartographie interessieren und die Beschäftigung mit alten Karten weitgehend Geographen und Kartographen überlassen (S. 15). Doch gerade für Historiker dürfte der Einstieg in die moderne Analyse alter Karten nicht leicht sein. Denn dieser Band ist kein Lehrbuch, das den Stoff systematisch und umfassend darlegt. Man wird aber darin neue Ideen finden, die zusätzlich zu den vertrauten traditionellen Methoden der Kartengeschichte angewendet werden können. Den Schwierigkeitsgrad kann man sich auswählen. So ist eine moderne Software wie Jennys MapAnalyst selbst für kartographiehistorische Novizen beherrschbar, während die Arbeit mit Höhenmodellen und Ausgleichungsprogrammen wohl noch längere Zeit Spezialisten vorbehalten sein wird. Was uns ein solcher Spezialist – der Ingenieur und Historiker Rickenbacher – hier vorführt, ist hohe Kunst. Überlassen wir ihm das Fazit:
Entscheidend für die Wirksamkeit solcher neuartiger Forschungsinstrumente wird sein, ob ein fruchtbarer Dialog zwischen Historikern sowie den Fachspezialisten für Kartengeschichte zustande kommt. Dazu müssen die Geschichtsforschenden bereit sein, die technischen Aspekte der Kartographiegeschichte als deren integrierenden Bestandteil zu verstehen. Wenn die vorliegende Studie zur Förderung dieses Dialogs [...] beiträgt und die Historikergemeinde auf das Potential der neuen Techniken für historische Fragestellungen aufmerksam macht, dann hat sie ihren Sinn erfüllt (S. 90). Im Hinblick darauf sei die Lektüre des ganzen vorliegenden Sammelbandes auch allen Kartographiehistorikern wärmstens empfohlen.

Citation:
Markus Oehrli: compte rendu de: Christophe Koller, Patrick Jucker-Kupper (Hrsg.), Karten, Kartographie und Geschichte. Von der Visualisierung der Macht zur Macht der Visualisierung, Geschichte und Informatik 16, Zürich, Chronos, 2009, 146 p. Première publications dans: |http://www.kartengeschichte.ch/Cartographica Helvetica|, tome 42, 2010, p.58.

Redaktion
Veröffentlicht am
24.08.2010
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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